Unser Gesetz­entwurf

Selbstbestimmungsgesetz der Bundesregierung als Audiobook (Ausschnitt):

Wir haben ein Gesetz geschrieben. Cool, oder? Was aber zeichnet unseren Gegenentwurf eines Selbstbestimmungsgesetzes aus, im Vergleich zu dem, der von der Regierung im Bundestag abgestimmt wird?

Für ein Gesetz, das zur Selbstbestimmung von trans*, inter*, nichtbinären und agender Personen beitragen soll, haben wir zwei Grundkonzepte entwickelt, die unsere Arbeit prägen: “Geschlechtsmündigkeit” und “Geschlechtszwang”. 

Geschlechtsmündigkeit heißt: die Fähigkeit das eigene Geschlecht oder das Fehlen einer geschlechtlichen Verortung selbstbestimmt ausdrücken zu können. Geschlechtszwang beschreibt Zusammenhänge, in denen diese Fähigkeit beschnitten wird.

Der Grundsatz für ein Selbstbestimmungsgesetz, das im derzeit existierenden Rechtsrahmen geschlechtliche Selbstbestimmung soweit wie möglich ausweitet sollte sein, den Geschlechtszwang möglichst zu minimieren und die Geschlechtsmündigkeit aller Menschen zu respektieren.  Geschlechtszwang kommt vor, wenn einer Person gegen ihren erklärten Willen eine Geschlechtsidentität auferlegt wird. Die Geschlechtsmündigkeit von Personen wird respektiert, wenn anerkannt wird, dass ihre geschlechtliche Verortung nur von ihr selbst festgestellt und angegeben werden kann.

Um die Geschlechtsmündigkeit in unserem Gesetzentwurf mit dem größtmöglichen rechtlichen Schutz zu untermauern, berufen wir uns auf Artikel 2, Absatz 1 des Grundgesetzes (freie Entfaltung der Persönlichkeit, Recht auf körperliche Unversehrtheit und Gesundheit) in Verbindung mit Artikel 1, Absatz 1 des Grundgesetzes (Schutz der Menschenwürde).

Ein ähnlicher grundrechtlicher Schutz der Geschlechtsmündigkeit war im Entwurf der GRÜNEN von 2020 ebenfalls noch vorgesehen. Das aktuell diskutierte Gesetz der Ampelkoalition ist dem gegenüber abgeschwächt und in weiten Teilen nur noch eine formale Regelung des Verhältnisses von Bürger*innen gegenüber dem Staat.

Ein Selbstbestimmungsgesetz, das diesen Namen wirklich verdient, darf aber nicht nur das formale Verhältnis zwischen trans*, inter* und nichtbinären Personen und dem Staat regeln. Gute Gesetze sind nämlich keine Minderheitengesetze, die für eine bestimmte Gruppe geschrieben werden, sondern Gesetze die für alle gleichermaßen gelten. Das ist eine Lehre aus der deutschen Geschichte, in der zum Beispiel mit den Nürnberger ‘Rasse’gesetzen gezeigt wurde, welche Auswirkungen gruppenbezogene Minderheitengesetze haben können.

Unser Gesetzentwurf sagt daher: ALLE haben das Recht, darauf, ihre Geschlechtsmündigkeit auszuüben. Dazu gehört nicht nur die nominelle Geschlechtsmündigkeit (Änderung von Namen und Geschlechtseintrag als Verwaltungsakt), sondern auch die materielle Geschlechtsmündigkeit. Materielle Geschlechtsmündigkeit heißt, dass Personen die Unterstützung an die Hand bekommen, ihrem Geschlecht auf selbstbestimmte Art und Weise Ausdruck zu verleihen. Denn damit wir wirklich selbst über unsere geschlechtliche Identitäten bestimmen können, brauchen wir mehr als nur die Möglichkeit, unsere Geschlechtseinträge und Vornamen formell zu ändern. Wir müssen unsere geschlechtlichen Identitäten auch tatsächlich entfalten können.

Zu den Mitteln, die eigene Geschlechtsidentität als elementaren Teil der Persönlichkeit zu entfalten gehört zum Beispiel auch, Zugang zu geschlechtsaffirmativen Maßnahmen. Unser Selbstbestimmungsgesetz 2.0 schreibt daher auch den rechtlichen Anspruch auf diese Maßnahmen als einen wichtigen Grundpfeiler für materielle Geschlechtsmündigkeit fest. Das haben wir uns ebenfalls aus dem Entwurf der GRÜNEN von 2020 abgeschaut. Auch wenn die Einzelheiten zu den regelhaften Leistungen der Krankenkassen anhand veränderlicher medizinischer Standarts of Care im Sozialgesetzbuch geregelt werden, kann und sollte der Anspruch auf diese Leistungen durch ein Selbstbestimmungsgesetz geschützt werden. Im Entwurf der Bundesregierung fehlt die Regelung gesundheitlicher Leistungen.

“Das Recht auf körperliche Selbstbestimmung für TIN* – augenscheinlich nicht außenpolitisch genug für das feministische Image der GRÜNEN – musste realpolitischen Überlegungen über die Verhandlungsmasse des Selbstbestimmungsgesetzes weichen.” (Mine Pleasure Bouvar, Missy Magazine, 01/2024)

Dabei würden durch diese Regelung zudem Hürden für notwendige Behandlungen für inter*geschlechtliche Menschen abgebaut werden und in der aktuell schwierigen Versorgungslage für trans* und nichtbinäre Personen der politische Handlungsdruck hinsichtlich der überfälligen Reform des Sozialgesetzbuchs erhöht.

Andrea Illés, „Feel Love 1”, digital print, 2022.

Materielle Geschlechtsmündigkeit für kommende Generationen zu schützen, gehört genauso zu einem Selbstbestimmungsgesetz, wie die Ermöglichung zur freien Persönlichkeitsentfaltung für diejenigen, die unter jahrelangem Unrecht gelitten haben. Personen, die dutrch inter*feindliche medizinische Praxis, TSG-verordnete Zwangssterilisationen oder Zwangsbegutachtungen geschädigt wurden, müssen entschädigt werden um ihnen ihre Selbstbestimmung zurückzugeben. Zu Entschädigungszahlungen findet sich im Entwurf der Regierungskoalition, trotz Ausführungen zu finanziellen Einsparungen durch wegfallende Bürokratie, nichts. Im Gegensatz dazu haben wir mit konkreten Zahlen mögliche Entschädigungen in unserem Selbstbestimmungsgesetz 2.0 aufgerechnet.

„Die Kosten die für Nachsorge wegen nicht-notwendiger Eingriffe, der materielle und psychische Schaden von der Hand der Ärzt*innen, die verpassten Jobs und Absagen auf Wohnungsbewerbungen, weil auf dem Ausweis ein Name stand der nicht gepasst hat, Fahrtkosten zu den TSG Gutachter*innen, Trauma wegen […] übergriffiger Gutachtengespräche, […] T*i*n sein kostet, und zwar Geld, Nerven, die eigene Gesundheit, den eigenen Kinderwunsch, die eigene Fähigkeit für eine erfüllte Sexualität, manche von uns sogar das Leben… Und der Staat, der uns das antut, möchte im Namen unserer Selbstbestimmung Geld sparen.“ (Mine Pleasure Bouvar, Redebeitrag vom 12.11.2023)

Im direkten Vergleich fällt auf, das Gesetz der Ampelkoalition hat nicht im eigentlichen Sinne die tatsächliche Selbstbestimmung von trans*, inter*, nichtbinären und agender Personen zum Ziel. Geschlechtsmündigkeit wird an vielen Stellen des Gesetzentwurfs der Regierung explizit eingeschränkt – durch Hausrecht, Wehrpflicht, Gängelungen be_hinderter Personen und Bevormundung von Kindern und Jugendlichen…

Das Selbstbestimmungsgesetz der Regierung ist ein Gesetz der Ausnahmen, die nicht marginalisierte Menschen schützen sollen, sondern der Befriedigung der Ressentiments und Sorgen uninformierter endo cis Personen dient. So ein Gesetz lässt viel Potenzial, dass gerade politisch ausgeschöpft werden kann liegen und wird zum rechtlichen Werkzeug, dass vor allem Geschlechtszwang ermöglicht.

„Der Entwurf des Kabinetts differenziert kleinteilig, wo TIN* ihre Geschlechtsidentitaet wie ausleben duerfen – in der Verwaltung, bei der Bundeswehr, in der Sauna auf dem Frauenparkplatz, Im Justitzvollzug. diese Trennungen, sind Maßnahmen zur Staerkung des Geschlechtszwangs und daher in Gaenze abzulehnen.“ (Juliana Franke, redebeitrag vom 12.11.2023)